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Vortrag 2: Prof. Christoph Klimmt: Exzessiver Medienkonsum oder Medienhysterie?
Exzessiver Medienkonsum oder Medienhysterie?
Dem dramatisch klingenden Titel seines Vortrags „Exzessiver Medienkonsum oder Medienhysterie?“ setzt Prof. Dr. Christoph Klimmt vom Hannover Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung selbst bereits positive Aspekte entgegen: Die Jugend von heute sei „absolut großartig!“ Es gibt „chancenorientierte Herangehensweisen“, Medien produktiv in die Pädagogik einzubinden, wie sein Vortrag im Anschluss beweist.
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Jederzeit online und connected
Der intensive Umgang mit Smartphone und Online-Medien sei Alltag geworden, erläutert Klimmt: Laut einer Studie von ARD und ZDF (2018) seien 54 Millionen Deutsche täglich über drei Stunden online, 14- bis 29-Jährige schaffen es auf gut sechs Stunden Smartphone-Internetnutzung, Tendenz jeweils steigend. Doch das eigentliche Problem sei weniger die äußerlich messbare Zeit als das Phänomen „POPC (Permanently Online, Permanently Connected)“: Auch ohne aktive Nutzung handle der Mensch stets in der Erwartung, jederzeit „online und connected“ zu sein und sei so von Online-Medien unentwegt „durchwirkt“: Laufend kämen Nachrichten, Impulse, Angebote und Anfragen, auf die die Nutzer/-innen sofort reagieren zu müssen glauben. Pausenzeiten werden nicht mehr zu Rückzug und Nichtstun genutzt, das Smartphone füllt sie mit Infos, Kommunikation oder Unterhaltung, manchmal auch ziellos.
Neue Kommunikationsrituale
Immer stärker geändert hätten sich, so Christoph Klimmt, die Formen des Umgangs: Junge Menschen vereinbaren neue Höflichkeits-Normen für die gegenseitige Aufmerksamkeitszuwendung. Paralleles Handy-Checken sei nicht mehr pauschal normverletzend, das Einbinden von Handy-Kontakten in Offline-Gespräche sogar typisch, Konversationen über Smartphone-Content längst gängige Praxis. Die Hinwendung zum direkt anwesenden Gesprächspartner werde von Online-Phasen durchdrungen. Digitale Kommunikation sei Teil von Alltagsroutinen: Das Smartphone als digitales Werkzeug erweitere Gewohnheitsabläufe. Momente, Ereignisse und Erfahrungen müssen in Fotos und Filmen festgehalten und digital „geteilt“ werden, um Beachtung zu finden. Sogar in Beziehungen sei die „digitale Herstellung von Intimität Bestandteil romantischer Abläufe“ geworden. Dies alles schüre bei Eltern, Lehrkräften und Erzieherinnen sowie Erziehern Ängste. In ihren Augen entstünden Mediensucht, Abhängigkeit, Leistungsdefizite, Verhaltensstörungen sowie Kontrollverlust.
Pädagogische Perspektiven
Intensiver Internetkonsum sei „keine (Sucht-)Krankheit“ und „Smartphones sorgen nicht für flächendeckende Verblödung“, meint Herr Klimmt und unterstreicht: „Pädagogen müssen unterscheiden zwischen digitalem Lebenswandel, der nur anders ist, und solchem, der problematisch ist“. Zu letzterem zählt er beispielsweise den Mangel an Achtsamkeit bei der Mediennutzung und die leichte Ablenkbarkeit. Oft komme es zu Unfallrisiken. Zielloser Mediengebrauch führe manchmal dazu, Wichtigeres zu verpassen. Vielleicht entdeckt man aber etwas, worauf man sonst nie gekommen wäre. Hier hilft nur das eigene Urteilsvermögen.
Im Übrigen bestehe Medienkompetenz nicht nur aus technischem Know-how; beispielsweise gehöre es zur Recherchekompetenz, Kontexte und Bedeutungen zu erfassen. Kritikfähigkeit und Reflexionskompetenz als Bildungsaufgabe erfahren durch den Digitalbezug eine Horizonterweiterung, die in Lehr- und Lerntätigkeiten ideal hineingetragen werden könne. In diesem Sinne schlägt Klimmt eine „offensive Didaktisierung“ vor. Hier biete der digitale Lebenswandel zahlreiche Anknüpfungspunkte: Versuchen Sie, Motivationspotenziale abzuschöpfen, zum Beispiel einmal Medienerfahrungen nacherzählen zu lassen oder Analyse-Fähigkeiten an Medieninhalten zu trainieren.
Worauf sollen wir Pädagogen unser Augenmerk legen?
Hier gibt Professor Klimmt konkrete Tipps:
- „Strategisch-selektiver Einsatz“ der neuen Medien statt einfach nur „alles digital“ lautet seine Devise. Des Weiteren sollte das Aufwands-Ertrags-Verhältnis immer nüchtern kalkuliert werden. Es sei besser, wenige digitale Tools regelmäßig zu nutzen, statt ständig neue einzuführen. (Denken Sie an die Meta-Lern-Kosten.)
- Sinnvoll sei es, Medienerziehung immer harmonisch mit Erziehungsansätzen zu verbinden. Für jüngere Kinder seien schärfere Regeln und weniger Freiräume nötig, was dann jeweils altersbezogen Schritt für Schritt angepasst werden könne.
- Authentizität wahren stärkt die Glaubhaftigkeit, besonders in der Medienerziehung.
Schaffen einer konstruktiven Pädagogik
Im Zentrum des Modells von Prof. Dr. Christoph Klimmt steht eine „konstruktive Pädagogik“. Digitalkompetenz sei eine Wirtschaftskraft, wie die Wahl des Veranstaltungsortes (Haus der Wirtschaft) für den Safer Internet Day zeigte. Chancen sehen, Vorteile erkennen und Fähigkeiten wertschätzen komme besser an, als Pessimismus zu verbreiten. Geben Sie Lernenden die Gelegenheit, ihre digitalen Skills zu beweisen. Aber erkennen Sie gleichzeitig die Zeichen von Hilfsbedürftigkeit dort, wo unverhältnismäßiger Mediengebrauch vorliegt.
Text: Corinna Kirstein