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Karlsruhe / LEARNTEC 2017
„Die Digitalisierung auch in Bildungsprozessen ist Teil der Lösung und nicht das Problem“. Mit dieser Aussage unterstrich Ralph Müller-Eiselt beim Medienkompetenztag in Karlsruhe (26.1.2017) die Notwendigkeit für Schulen und andere Bildungseinrichtungen sich den Möglichkeiten der digitalen Medien und IT-Technologien zuzuwenden und sie für das Lernen fruchtbar zu machen. Weltweit, so Müller-Eiselt, wachse der Bildungshunger, das Abitur – oder vergleichbare Abschlüsse – würden zur Regel. Gleichzeitig seien die Lerngruppen nicht mehr homogen wie früher. Diese „Vielfalt“ sei eine Herausforderung, weil sie sich nicht nur auf einen möglichen Migrationshintergrund beziehe, sondern auch auf Lernstände. Um einzelne Schüler gezielt anzusprechen, gebe es bereits Schulen, die nach Auswertung von Arbeiten jedem Schüler via Algorithmus weitere – verständnisfördernde – Aufgaben auf ihr Tablet einspielen.
Insgesamt nannte Müller-Eiselt sechs Faktoren, die unter anderem einen Mehrwert durch digitale Bildung darstellen:
- „Harvard für alle“, soll heißen Bildung für alle wird möglich. An Online-Kursen von Universitäten oder zum Beispiel der Khan-Akademie nehmen Millionen von Menschen weltweit teil. In Kenia werden Unterrichtsmaterialien zum Beispiel via SMS in die entlegensten Gegenden verschickt (u.a. weil es an Schulbüchern mangelt und sich viele diese Bücher gar nicht leisten könnten).
- Lernszenarien, die individuell angepasst werden können, was wiederum zu ganz individuellen Lernwegen führt. Unterschiedliche Lernstile und Lerngeschwindigkeiten werden dabei ebenso berücksichtigt wie individuelle Begabungen oder Förderbedarfe.
- Qualität ohne Qual oder spielend zum Erfolg. In digitalen Settings ist es möglich Spiele einzubeziehen, die rein gar nichts mit „daddeln“ zu tun haben. Vielmehr erzeugen sie durch ihr unmittelbares Feedback, durch Erfolgserlebnisse und dem Gefühl von Selbstwirksamkeit beim Lernenden zusätzliche Motivation. Untersuchungen zeigen, dass man so Teilnehmer weiterbringen kann, die man sonst ggf. nicht erreicht hätte.
- Kollaboratives Lernen ist jederzeit und an jedem Ort möglich. Die Lernenden haben auf den mobilen Geräten dabei ihre „Unterlagen“ und Arbeitsstände immer verfügbar.
- Orientierung im Bildungsdschungel. Digitale Hilfsmittel können beispielsweise angehenden Studierenden eine bessere Orientierung für die eigene Studienfachwahl liefern. Angesichts von 18 000 Studiengängen allein in Deutschland sicher hilfreich.
- Gute Passung: Mit Algorithmen lassen sich Kenntnisse und Kompetenzen eines Einzelnen viel besser und kleinteiliger erfassen als dies ein Zeugnis zulässt. „Kompetenz schlägt Creditpoints“, denn es sind Kompetenzen gefragt und weniger die Creditpoints, so Ralph Müller-Eiselt. Digitale Tools ermöglichen also ein klares Profil einer Person.
Zusammenfassend betonte Ralph Müller-Eiselt: „Die Digitalisierung verbessert den Zugang, die Passung und Qualität von Bildung und sorgt für Chancengleichheit. Dabei geht es nicht einfach um neue Geräte oder eine Zusatzaufgabe, sondern es geht darum den Wandel in der Gesellschaft zum individuellen Nutzen auch im eigenen Kopf zu vollziehen“.
Gleichzeitig sei die Digitalisierung kein Allheilmittel und es gelte v.a. das Thema Datensouveränität im Blick zu behalten und jeden Einzelnen auch hierzu via Bildung zu befähigen.
Schule neu denken
Ganz praktisch ging es beim Vortrag von Professor Frank Thissen (Hochschule der Medien in Stuttgart) und Valentin Helling von der Alemannenschule Wutöschingen zu. Im Tandem veranschaulichten die beiden die Bedingungen, die für ein erfolgreiches Lernen in der Schule maßgeblich sind.
Die beiden betonten: „Kosmetik reicht heute nicht mehr aus, wir müssen vielmehr Schule ganz neu denken“. Im 21. Jahrhundert seien Problemlösungskompetenz, Informationskompetenz, Kreativität, Medienkompetenz, soziale Kompetenzen und eine Art Weltbürgerschaft von zentraler Bedeutung. Um diese zu erreichen, sei zunächst Motivation des Einzelnen erforderlich – und diese intrinsische Motivation entsteht am besten dadurch, dass man etwa Schülerinnen und Schüler zu Verantwortlichen ihres eigenen Lernprozesses macht. Ganz am Anfang hat der Rektor der Alemannenschule Wutöschingen den Schülerinnen und Schülern beispielsweise gesagt „wer nicht kommen will, kann daheim bleiben oder ins Schwimmbad gehen“. Und oh Wunder: das machen nur ganz wenige.
In Wutöschingen hat man außerdem die Räume ganz neu gestaltet und Lernateliers eingerichtet, in denen jedes Kind einen Arbeitsplatz hat, an dem es in Ruhe an einem von ihm selbst gewählten Thema arbeiten kann. Es versteht sich von selbst, dass in der Alemannenschule – einer Gemeinschaftsschule – intensiv mit digitalen Medien gearbeitet wird, mit mobilen Geräten wie mit digitalen Materialien.
Motivierend wirken auch Pausen, in denen die Kinder Muße haben sich zu entspannen oder sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Dazu gehört vielfältiges Lernmaterial, das die individuellen Herangehensweisen und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt – und selbstverständlich analog wie digital zur Verfügung steht. Dazu gehört individuelle Unterstützung, die dafür sorgt, dass kein Kind den Anschluss verliert.
In Wutöschingen wird auch das Lernen voneinander gefördert. „Schülerinnen und Schüler übernehmen bei uns viel Verantwortung. Wir haben einen Lernpartnerrat, ein Lernpartnergericht und Lernpartnerversammlungen. Diese Strukturen ermöglichen es allen Beteiligten, das Schulleben aktiv zu gestalten“, so Valentin Helling. Dazu gehört auch ein gutes Miteinander. So haben die Schülerinnen und Schüler nicht nur Lehrer, die sie in kleinen Gruppen betreuen, sondern sie können sich auch Zeit für ihre Freunde nehmen und vor allem für ihr Netzwerk innerhalb der Schule, in dem und von dem sie in vielfacher Hinsicht lernen.
Das Fazit von Valentin Helling lautet: „Es ist viel Arbeit. Gleichzeitig war ich noch nie glücklicher an einer Schule und auch für die Schülerinnen und Schüler ist es sehr befriedigend“.
Am Nachmittag sorgten verschiedene Workshops für weitere Anregungen für die eigene pädagogische Praxis. Alle Präsentationen und Materialien werden in Kürze auf der Seite des Stadtmedienzentrums Karlsruhe zu finden sein, so dass Interessierte die Einzelheiten nochmals nachlesen könne: http://www.lmz-bw.de/landesmedienzentrum/medienzentren/stadtmedienzentrum-karlsruhe-am-lmz/medienkompetenztage/medienkompetenztag-2017.html
Text: Ingrid Bounin