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Waiblingen 2014

Tablets im Unterricht – eine Antwort auf pädagogische Fragen oder nur ein Lernwerkzeug?

Ob tragbare Geräte wie das iPad das Lernen an Schulen verbessern, war das große Thema beim Waiblinger Medienkompetenztag am 15. Oktober 2014. Über hundert Fachkräfte, Schulnetzberater, Lehrerinnen und Lehrer kamen trotz Lokführerstreik zum Waiblinger Kreismedienzentrum, um sich über die Möglichkeiten des "Mobilen Lernens" zu informieren. Dazu hatte das Kreismedienzentrum eine Reihe von Expertinnen und Experten eingeladen, die in Vorträgen und an Infoständen aus ihrem Erfahrungsschatz berichteten.

Vortrag "Mobiles Lernen" von Prof. Dr. Frank Thissen

Eines der Highlights war der gut besuchte Vortrag "Mobiles Lernen" von Prof. Dr. Frank Thissen. Thissen beschäftigt sich seit 17 Jahren neben diesem Thema auch mit dem "Schulbuch der Zukunft". Im Rahmen seiner Forschungsarbeit untersuchte er bereits zahlreiche Projekte mit Tablets an Schulen, wie z. B. am Staufer-Gymnasium Waiblingen oder an der Rennbuckel-Realschule Karlsruhe. Einleitend widmete sich Thissen dem aktuellen Diskurs: Tablets würden oft als Antwort auf pädagogische Probleme propagiert. Doch für welche Probleme sie genau die Antwort sein sollen, darüber sei man sich gar nicht sicher. Tablets würden eingesetzt um den Unterricht zu "verbessern". Was dabei genau verbessert wird, stellte Thissen in seinem Vortrag detailliert dar.

Die drei Zeitalter des Lernens – ein These von Bill Rankin, der mittlerweile Director of Learning bei Apple ist – sollten die Zuhörer in das Thema einführen. Rankin verglich den Fortschritt durch die Computerisierung sowie das Internet mit der Entwicklung des Buchdruckes im 15. Jahrhundert. Mit dem technischen Wandel ging ein kultureller Wandel in den Bereichen Religion, Aufklärung, Bildung einher. Das erste Lernzeitalter bezeichnet Rankin als das Zeitalter der Hände, bei dem Wissen an Menschen gebunden war. Darauf folgte das Zeitalter Gutenbergs, bei dem Wissen in Objekten gebündelt wurde, worauf das Zeitalter des Internets folgte. Die große Herausforderung sei im heutigen dritten Zeitalter die Bewertung und Einordnung von Informationen. Es stellt sich uns die Frage, wie das Lernen und Lehren aussehen soll, wenn nicht mehr Lehrer und Bücher die Quellen sind, sondern jeder im Internet recherchieren kann.

Eine weitere Frage lautete, welche Kompetenzen Schüler für das 21. Jahrhundert erlernen müssen. Professor Thissen nannte hierzu die "21st century skills" von Tony Wagner. Dazu zählen laut Wagner

  • kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten,
  • kollaboratives Arbeiten,
  • Anpassungsfähigkeit,
  • Initiative und Unternehmertum,
  • Kommunikationskompetenz,
  • Informationskompetenz
  • sowie Neugier und Vorstellungskraft.

Projektorientiertes Lernen an Schulen fördert all diese Kompetenzen und genau dafür ist der Einsatz von Tablets interessant. Tablets sind gemäß Thissen aber nicht die "Lösung eines Problems" sondern nur ein "Werkzeug". Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass der Einsatz von Tablets das unabhängige, selbstgesteuerte Lernen unterstützt und die Motivation steigert. Weiterhin stellte Thissen eine Studie von Kevin Burton aus England vor, welche zeigte, dass das Lernen mit Tablets die Zusammenarbeit, die Eigenverantwortung und die Kritikfähigkeit bei Schülern verbessert. Mithilfe der Geräte kann der Lehrer besser als Lern-Manager agieren statt als Inputgeber. So kann dieser individueller auf einzelne Schüler eingehen. Als weiteren Befürworter von Tablets zitierte Thissen den Kölner Lehrer Andre Spang, der feststellte, dass Kinder mit Tablets motivierter sind und sogar "sonntagnachmittags mit Hausaufgaben" beschäftigt seien. Aus der Zusammenarbeit mit der Karlsruher Rennbuckel-Realschule ging hervor, dass Tablets eine eigene "Lernumgebung" sind. Vorhandene Lernräume müssen deshalb angepasst werden, da das herkömmliche Klassenzimmer nicht mehr dem Einsatz von Tablet-Klassen entspricht. Auch 45-minütige Zeitfenster hätten laut Thissen ausgedient.

Abschließend stellte Thissen eine Reihe von praktischen Beispielen vor, wie Tablets in der Schule eingesetzt werden können wie z. B. beim Lernen vor Ort. Bei einem Projekt suchten die Schüler mithilfe von Google Maps alternative Schulwege, visualisierten eine Verkehrszählung und spielten Verkehrssituationen nach, welche sie als Videos aufnahmen – alles mit dem Tablet-PC versteht sich. Noch mehr Praxisbeispiele findet man in Frank Thissens E-Book "Mobiles Lernen in der Schule", das auch als PDF zur Verfügung steht.

Vortrag "Wischende Finger und quietschende Kreiden" von Prof. Dr. Thomas Irions

Auch bei Prof. Dr. Thomas Irions Vortrag "Wischende Finger und quietschende Kreiden" war der Vortragsraum gut befüllt. Der ehemalige Grundschullehrer ist Abteilungsleiter der Grundschulpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft und Gründer des Zentrums für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Zu Beginn wollte Irion aufzeigen, warum er die Medienbildung in der Grundschule für wichtig hält und verglich die Medien des Unterrichtes mit den Medien des Elternhauses. Während im Klassenzimmer noch Tafel, Tageslichtprojektor und Kreide im Einsatz sind, nutzen die Schüler zuhause fleißig den Computer, das Smartphone oder das Tablet. Folglich müsste ihnen der Schulbesuch wie ein Ausflug ins Museum vorkommen. Dennoch würden noch immer viele Argumente gegen den Einsatz von Computern in der Grundschule stehen: die Gefahr von "digitaler Demenz", von Computersucht, die hohen Kosten sowie der wie in der Hattie-Studie aufgezeigte fehlende Beweis, dass man mit den Geräten besser lernen kann.

Laut Professor Irion stellen die hohe Verbreitung von Smartphones unter Kindern und deren Begeisterung dafür die Schulen vor große Herausforderungen. Bereits 2012 wurde in der Kultusministerkonferenz ein Beschluss verfasst, der davon ausgeht, dass Medienbildung in der Schule "Schutz von Kindern und Jugendlichen vor negativen Einflüssen und Wirkungen von Medien gewährt". Irion kritisierte, dass man diesen Faktor bislang stark vernachlässigt hätte und forderte, dass Grundschulen, welche die Kinder auf die Begegnung mit der Welt vorbereiten soll, auch den Umgang mit Medien vermitteln sollten. Zu den in der Grundschule vermittelbaren Kulturtechniken, zähle auch die Bedienung von digitalen Medien. Dabei tun sich Grundschüler oft noch schwerer als angenommen, so Irions Beobachtungen.

Zwar wird in den Bildungsstandards der Einsatz von digitalen Medien in der Grundschule vorgeschrieben, jedoch nicht verbindlich. Die Angst vor zu hohen Kosten würde laut Irion dazu führen, dass der Medieneinsatz nur mit weichen Formulierungen wie "sollte vermittelt werden" verankert wird. Die fehlende feste Verankerung sowie die weit verbreitete Bewahrpädagogik in den Grundschulen führe dazu, dass Kompetenzen zum sicheren Umgang mit Medien nicht vermittelt werden können. Irion plädierte dafür, dass Grundschulen die Kinder beim Umgang mit Medien nach dem Scaffolding-Prinzip mit Gerüsten unterstützen. Beim Scaffolding genannten Bildungskonzept lernen Kinder in der Grundschule u. a. ihre Nutzungszeiten richtig einzuschätzen, in dem sie mit dem Gerüst "Uhr" an die Mediennutzung herangeführt werden.

Ein weiteres Konzept ist das "Lernen mit Medien". Hier stecke aber – siehe Sprachlabor – oft der "Teufel im Detail", so wie es Irion ausdrückte. Genau das Gleiche gelte auch für den Computerraum mit allen seinen Tücken. Professor Irion, der selbst noch wöchentlich an Grundschulen unterrichtet, bezweifelte, dass der Einsatz von Computerräumen grundschulgerecht ist. Hierbei würde "das Medium den Unterricht diktieren", da das Setting "Computerraum" mit allen seinen Regeln und Beschränkung nicht integrierbar ist. Statt dessen forderte Irion, dass der Geräteinsatz in der Grundschule

  • integrierbar (räumlich),
  • editierbar (veränderbar),
  • mit hoher Benutzerfreundlichkeit verbunden
  • und zuverlässig sein muss.

Gerade bei Tablet-PCs sei die Benutzerfreundlichkeit und Integrierbarkeit sehr hoch. Abschließend stellte Irion Möglichkeiten vor, wie im Unterricht von Tablets Gebrauch gemacht werden kann. Wenn in der Grundschule die Medienkompetenz - laut Baacke auch Medienkritik – gefördert werden soll, dann könnte z. B. "visuelle Kompetenz" bzw. "Kritikfähigkeit" anhand von Täuschungsbildern vermittelt werden. Danach könnten die Schüler das Thema mithilfe von Tablets und Videoschnitt-Apps aktiv umsetzen, indem sie die "schönste Schule Deutschlands" und danach die "hässlichste" filmten. Eine weitere Methode wäre, dass Schüler mithilfe von Tablets physikalische Zusammenhänge wie den Bernoulli-Effekt erklären. Dazu könnten sie entsprechende Erklärvideos aufnehmen. Lehrer müssten wissen wo sie für den Unterricht taugliche Apps finden könnten. Dazu verwies Irion auf www.schule-apps.de oder Datenbank: Apps für Kinder.

Praktische Beispiele an zahlreichen Infoständen

An vielen Infoständen veranschaulichten Experten anschließend, wie Mobiles Lernen in der Praxis aussieht. Jürgen Dorsch von der Lindenparkschule Heilbronn zeigte den Besuchern wie man mit einem speziellen Stift und der richtigen App sein Tablet in eine interaktives Whiteboard verwandelt. Wie man sein iPad in einen Multifunktionssensor umfunktioniert, zeigte uns Michael Eick vom Gustav-Stresemann-Gymnasium aus Fellbach. Der Schulnetzberater des Kreismedienzentrums Waiblingen führte eine Reihe von Apps vor, mit denen Lehrer als Lernbegleiter fungieren können. Unter anderem zeigte Schulnetzberater Friedemann Ilg eine Wörterbuch-App, eine Filmschnitt-App sowie Lernquiz-Apps. Ein Aufbewahrungs- und Verwaltungs-Set für Tablets führte Axel Renz, Geschäftsführer von RenzMedia, vor. Eine vollstände Liste der angebotenen Infostände finden Sie hier.

Weiter Informationen zum Thema "Mobiles Lernen" finden Sie in auf MediaCulture-Online:

Tablet & Schule – ein Projekt des Landesmedienzentrums

„Klein und leicht, schnell und mobil verfügbar“ – Tablets in der Schule

Mobiles Lernen in der Schule. Das Handy als kulturelle Ressource für Bildung nutzen.

Kontakt

Medienpädagogische Beratungsstelle
0711 2850-777
beratungsstelle@lmz-bw.de