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Forum 2 – Social Media in der Hosentasche

Forum 2 – Social Media in der Hosentasche

Forum 2 Markus Gerstmann, Bildungsreferent im ServiceBureau Jugendinformation, Bremen, präsentierte Beispiele, wie Smartphones in der Schule eingesetzt werden können. Bild: Christian Reinhold (LMZ), Text: Jiří Hönes.

Markus Gerstmann: „Verbieten Sie die Handyverbote!“

Das Smartphone hat unseren Alltag in den vergangenen Jahren gehörig umgekrempelt. Welche Veränderungen dies in der Bildung nötig macht, war das Thema des Fachforums Social Media in der Hosentasche von Markus Gerstmann beim Auftakt der regionalen Medienkompetenztagen der Initiative Kindermedienland Baden-Württemberg am 17. Februar 2016 im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Der Referent vom ServiceBureau Jugendinformation in Bremen appellierte insbesondere an Lehrkräfte, sich dem Smartphone im Unterricht nicht zu verschließen.

Er charakterisierte das allgegenwärtige Gerät markig als „leider geil“ und „leider problematisch“ zugleich. Die multifunktionalen Hochleistungsrechner im Hosentaschenformat hätten die Welt in nur acht Jahren massiv verändert. Es sei daher nicht verwunderlich, wenn die Gesellschaft insgesamt noch kein Patentrezept im Umgang damit hätte. Der Bildungssektor, insbesondere die Schule, dürfe sich jedoch vor dieser gesellschaftlichen Realität nicht verschließen. Man müsse sich vielmehr an der Lebenswelt der Jugendlichen orientieren und die Smartphones in die pädagogische Arbeit einbeziehen. Er prophezeite, in fünf Jahren werde es völlig normal sein, dass Schülerinnen und Schüler ihr Smartphone im Unterricht dabei hätten, so wie es für Erwachsene schon heute zum Alltag gehöre.

Dabei verschwieg er nicht, dass die Geräte eine ganze Reihe von Problemen mit sich bringen: „Das Smartphone hebt Grenzen auf, die Kontrolle fällt weg“, so Gerstmann. Man sehe als Lehrkraft zum Beispiel nicht, wie beim klassischen Computer, womit sich ein Schüler da gerade beschäftigt. Das führe zwangsläufig zunächst zu Irritation, was übrigens auch im privaten Bereich gelte: „Ich weiß auch nicht, was meine Frau auf ihrem Smartphone gerade macht.“ Die Gesellschaft als Ganzes müsse erst lernen, mit dieser neuen Technologie umzugehen.

„Die nächste große Veränderung nach dem Tintenkiller“

Das Medium an sich sei jedoch oft gar nicht das wesentliche Thema. Erwachsene lästern, so Gerstmann, gerne über Jugendliche, die sich alle fünf Minuten über WhatsApp schreiben und sich ihre Freundschaften gegenseitig bestätigen. „Man kann an dieser Stelle über Mediennutzung reden oder eben über Freundschaft. Es ist doch viel wichtiger zu fragen: Hält das die Freundschaft aus, wenn ich mal abends nicht schreibe, dass ich jemanden lieb habe?“ Oder man frage nach der Geduld, wenn jemand nicht sofort zurückschreibe: „Welches Recht auf Antwort habe ich überhaupt?“ Ein solcher Zugang würde viel eher zum Nachdenken anregen als die Frage, ob man denn schon wieder am Handy rumspielen müsse.

Ein Problem sei, dass die klassische Bildung oft versuche, sich gegen die Technik zu stellen. Dabei sei das Handy in der Schule ohnehin längst Realität, es werde nur im Verborgenen benutzt. Er verwies auf eine Studie der BITKOM, die Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen zu ihrer Handynutzung in der Schule befragt hat. Dabei zeigte sich zum einen, dass nahezu alle ihr Handy in der Schule dabei haben. Zum anderen wurde als Nutzung neben vorhersehbaren Dingen wie „News in Sozialen Netzwerken lesen“ (45 %) und „Mit Mitschülern chatten“ (70 %) auch produktive Vorgänge wie „Tafelbild abfotografieren“ (74 %) und „Online-Infos zum Lehrinhalt suchen (56 %) genannt. Er nannte das Smartphone die „nächste große Veränderung nach dem Tintenkiller“. Dessen Einführung sei seinerzeit ebenfalls äußerst kritisch gesehen worden, heute sei er selbstverständlich und akzeptiert.

„Vertrauen und Gelassenheit“ sind gefragt

Sein Appell war eindeutig: „Verbieten Sie die Handyverbote!“ Mit Handyverboten unterbinde man nur die Möglichkeit, dass Kinder einen verantwortungsvollen Umgang damit lernen, so Gerstmann. Statt es den Jugendlichen abzunehmen, solle man es lieber als didaktisches Mittel einsetzen, wie es manche Schulen bereits tun. Dies verlange Vertrauen und Gelassenheit seitens der Lehrkräfte. Das Smartphone sei seiner Ansicht nach jedoch „nur ein vorübergehender Störfaktor“, es werde bald selbstverständlich zum Lernen dazugehören.

Dennoch dürfte man die problematischen Seiten nicht außer Acht lassen. Gerstmann sprach das Phänomen des „Digitalen Burnouts“ an, das der Informatiker Alexander Markowetz in seinem so betitelten Buch thematisiert habe: Die unreflektierte, dauernde Nutzung sei mit Sicherheit ein Problem: „Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, ständig ‚on‘ zu sein.“

Den Jugendlichen, die ihr Smartphone neben das Bett legen, um auch nachts keine Nachrichten zu verpassen, sage er daher immer: „Mein Handy hat einen eigenen Schlafplatz, da verbringt das dann in Ruhe die Nacht und tankt neue Energie.“ Meist ernte er damit zunächst verwunderte Blicke. Eine dringende Frage der Zeit, deren Antwort er selbst nicht sicher kenne, laute daher: „Wo kriegen wir die Ruhe her, mit dem Smartphone richtig umzugehen?“

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