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Vortrag 1 - Digital ist überall

Vortrag "Digital ist überall: Jugend in der digitalen Gesellschaft"

Vortrag "Digital ist überall: Jugend in der digitalen Gesellschaft" Dr. Jan-Hinrik Schmidt, Bild: LMZ, Text: Henriette Carle.

Wer über das Heranwachsen in der digitalen Gesellschaft spricht, kommt um den Begriff der „Digital Natives“ nicht herum. Für Dr. Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow Institut Hamburg ist der Begriff nicht unproblematisch, da er eine Spaltung zwischen den „Eingeborenen“ und den „Immigranten“ des Internets aufmacht, die den tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten der Menschen kaum gerecht wird. Dennoch bringe der Begriff das Phänomen auf den Punkt, dass es in unserer Mediengesellschaft nun eine Generation gibt, die ganz selbstverständlich in und mit digitalen Medien aufwächst. In seinem Impulsvortag beim Safer Internet Day der Initiative Kindermedienland am 10. Februar in Stuttgart, stellte Schmidt eigene Forschungsergebnisse vor und betrachtete das Phänomen aus einer kommunikationssoziologischen Perspektive.

Persönliche Öffentlichkeiten

Die Vorliebe von Jugendlichen für Soziale Netzwerke erklärt Schmidt damit, dass digitale Medien Jugendlichen dabei helfen, zentrale Entwicklungsaufgaben zu erfüllen: Wer bin ich und wer möchte ich sein? Wo ist mein Platz in der Gesellschaft? Wie orientiere ich mich in der Welt? Soziale Netzwerke eignen sich für die Organisation des Identitätsmanagments, denn Jugendliche können sich dort mit ihren Interessen und Vorlieben präsentieren. Letzteres ist auch deshalb wichtig, weil erst das Posten von Fotos, Links, Mitteilungen usw. den Austausch mit anderen ermöglicht und Soziale Netzwerke so zur Beziehungspflege und zum Knüpfen neuer Kontakte eingesetzt werden können. Wie Erwachsene nutzen auch Jugendliche das Netz, um Informationen zu suchen und zu filtern, wobei Schmidt den Informationsbegriff recht weit ansetzt: Für Jugendliche seien Informationen wie „Ist denn der Kevin noch mit der Tamara aus der 9b zusammen?“ oft relevanter als die Lage in Syrien oder in Griechenland.

Mit Verweis auf die Divsi-Studie 2014 legt Schmidt dar, dass Jugendliche durchaus ein Gespür dafür haben, dass sich Facebook-Freunde nicht mit echten Freundinnen und Freunden gleichsetzen lassen. Auf Facebook pflegen Jugendliche sowohl die Beziehung zu ihrem engeren und weiteren Freundeskreis als auch zu Bekanntschaften, die sie vielleicht gar nicht persönlich kennen, aber mit denen sie die Kommunikation über gemeinsame Interessen im Internet verbindet. Für Soziale Netzwerke nutzt Schmidt deshalb den Begriff der „persönlichen Öffentlichkeit“, an die man die Mitteilungen mit persönlicher Relevanz richtet.

„Jugendliche bewegen sich im Internet in holländischen Wohnzimmern“

Auch wenn sich die Mitteilungen in Sozialen Netzwerken an eine bestimmte, persönliche Öffentlichkeit richten, lässt sich technisch gesehen kaum kontrollieren, wie diese Posts weiter geteilt und verbreitet werden. Die Kontrolle über die Privatsphäre geht also zunehmend verloren, denn durch die digitalen Medien bleiben Informationen über eine lange Zeit verfügbar, sind kopierbar- und durchsuchbar. Auch wenn Jugendlichen ihre Privatsphäre weiterhin wichtig ist, bewegen sie sich in Räumen, die diese eigentlich kompromittieren. Schmidt spricht deshalb vom Privatsphäre-Paradoxon und zieht den Vergleich zu holländischen Wohnzimmern, die üblicherweise keine Vorhänge haben und so gute Einblicke in die Privatsphäre einer Wohnung bieten. Diese calvinistische Tradition sollte einst das gottesfürchtige Leben der Bewohnerinnen und Bewohner offenbaren, allerdings hätte sich parallel dazu auch die allgemeine Regel herausgebildet, dass man Anderen nicht ins Wohnzimmer starrt – ein Verhaltenskodex, der für das Internet noch ausstehe, so Schmidt.

Eine weitere widersprüchliche Entwicklung der digitalen Gesellschaft nennt Schmidt das Partizipationsparadox: Auf der einen Seite zeichnen sich die Web2.0-Dienste durch die Mitwirkung der Menschen aus, die an der inhaltlichen Ausrichtung und Gestaltung der Angebote mitarbeiten. Dieser Selbstbestimmung stehen auf der anderen Seite die kommerzialisierten und nicht demokratisch gestalteten Strukturen gegenüber, in die die Nutzer „eingehegt“ sind. Die Konzerne, die hinter den Social-Media-Angeboten stehen, „ernten“ die nutzergenerierten Inhalte praktisch ab und beuten so die unentgeltlich erbrachte Arbeit der User aus. Schmidt stellt deshalb die Forderung an die Gesellschaft, sich darüber zu verständigen, wie mit diesen machtvollen Akteuren umgegangen wird.

Kompetenzen für die digitale Gesellschaft

Schmidt leitet daraus Kompetenzen ab, die in einer digitalen Gesellschaft notwendig sind. Jugendliche – und nicht nur sie – müssten lernen, sich in digital vernetzten Öffentlichkeiten zu orientieren. Dazu gehöre es, relevante von irrelevanten Informationen zu filtern und selbst Informationen bereitzustellen und so aktiv zu Wissensbeständen beizutragen. Sie müssten die Qualität von Informationen einschätzen und die strategischen Absichten hinter einer Kommunikation erkennen können. Sie sollten die Funktionsweise von Such- und Empfehlungswerkzeugen kennenlernen und diese von redaktionellen Empfehlungen unterscheiden können.

Als Fazit kann man also ziehen: Die digitalen Medien helfen Jugendlichen dabei, zentrale Entwicklungsaufgaben zu erfüllen und verkomplizieren sie gleichzeitig.

Die Präsentation von Dr. Jan-Hinrik Schmidtt: Heranwachsen in der digitalen Gesellschaft (PDF)

 Der komplette Vortrag zum Nachhören als Audio-Datei: Heranwachsen in der digitalen Gesellschaft (MP3)

Kontakt

Medienpädagogische Beratungsstelle
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